Fenstergeschichten


Fenstergeschichten

Einem geistvollen Einfall folgend  hatte ich vor 365 Tagen beschlossen: ich werde "Fenstergeschichten" schreiben! Jeden Tag werfe ich einen Blick aus dem Fenster und beschreibe die sich bietenden Begebenheiten. Ich wollte dies in Form kurzer Notizen gestalten, sozusagen "Momentaufnahmen", die man in serieller Folge lesen kann, als ob man in einer Galerie langsam an den Bildern vorbeigeht und ein Bild nach dem anderen betrachtet.

Hier das Ergebnis:

Tag 1:
Ich trete ans Fenster, schaue, ohne es zu öffnen, nach draußen und gewahre in erster Linie  horizontal geführte, hellgraue Aluminiumstreifen, die jeweils links und rechts an senkrecht stehenden Pfosten enden. Die Streifen sind gekröpft ausgeführt, sodass sich die einzelnen Elemente zwar überlappen, aber einen Spalt freigeben, ohne Durchsicht zu gewähren.

Tag 2:
Ich mache mich wieder daran, aus dem Fenster zu schauen und wiederum fällt als erstes dieses graue Konstrukt ins Blickfeld. Es handelt sich um vorgefertigte Elemente, als Befestigung an den beidseitigen Stehern leuchten mir an den Ecken helle Aluminiumnieten entgegen, die das gesamte etwa mannshohe Element tragen.

Tag 3:
Während ich ans Fenster latsche, gewahre ich, obwohl bereits fortgeschrittener Vormittag, das Fehlen von Helligkeit. Ein düsterer Tag empfängt mein Auge, doch die angezeigten grauen Horizontalbleche sind gut auszumachen. Sie befinden sich schließlich unweit vor dem Fenster. Ich habe den Eindruck, ich könnte sie greifen, wenn ich das Fenster öffne und mich aus selbigem lehne.

Tag 4:
Heute ist der Tag heller. Es dürfte kalt sein, denn die klare Sicht gewährt mir einen Blick auf eine reifüberzogene Oberfläche, die das Grau der Lamellen schimmernd und glitzernd aufhellt. Ich beginne die Horizontalelemente in beide Richtungen, beginnend von meinem Fensterplatz, abzuzählen. Die vorstehenden Hauskanten machen dem bald ein Ende.

Tag 5:
Ich blicke nacheinander beidseitig an der vor mir liegenden grauen Fläche entlang und betrachte die senkrecht aufragenden Vierkantsteher, welche die kontinuierliche Aneinanderreihung besagter Horizontalelemente jeweils unterbrechen. Diese Säulen sind im Gegensatz zur hellgrauen Fläche in dunklem Grau gehalten und überragen die Querelemente nur unwesentlich.

Tag 6:
Ich besehe die Säulen genauer und stelle fest, dass diese auf einer innenliegenden Befestigungskonsole festgemacht sein müssen, denn es sind keine Bodenhülsen zu sehen. Die Steher scheinen einfach so auf dem Betonfundament, das sich durchgehend zeigt, zu fußen. Im Übrigen krönt das obere Ende jeweils eine Abdeckkappe, die eine Abtropfleiste aufweist.

Tag 7:
Ich kann weiterhin das graue Machwerk entdecken, das sich entlang des Grundstücks hinzieht. Zwar zeigen sich in der Folge Sträucher, die die graue Konstruktion begleiten, diese innenliegend zum Haus hin abschirmen und somit für eine optische Aufhübschung sorgen, doch sind die Buschwerke erst in einiger Entfernung beginnend und somit für eine genauere Betrachtung ungeeignet.

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Tag 8 bis Tag 365:
Ich führte, der ursprünglichen Absicht entsprechend, diesen "Fensterblick" ein Jahr lang täglich durch und dokumentierte penibel die anhaltenden Wahrnehmungen, um sie zu einer wahren "Fenstergeschichte" werden zu lassen.

Allerdings stellte ich nach einem Jahr fest, dass ich fortwährend auf einen Aluminiumzaun blickte. Ich hätte statt des Arbeitszimmerfensters doch das Küchen- oder das Wohnzimmerfenster wählen sollen!
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Es fanden jedoch unzählige Begebnisse Aufnahme in der täglichen Schilderung. So sichtete ich zum Beispiel einmal eine Ameise am zweiten Steher von rechts, während ein Fensterblick an einem anderen Tag eine Wespe ausmachte, die beim Anflug die oberste Lamelle übersah und vermutlich mit erlittener Gehirnerschütterung Richtung Fundament abstürzte (sie war bestimmt mit dem Leben davon gekommen, denn beim Fensterblick tags darauf war sie nicht mehr zu gewahren).
Eine Spinne, die ihr Netz dem glänzenden Morgentau zur Verfügung stellte war ebenso zu sichten, wie eine Taube, die mit Hilfe ihres Hinterteils das dunkle Grau des Pfostens mit einem weißen flüssigen Etwas behübschte.
Ein anderes Mal beäugte ich eine Person, die sich mit einem Eimer und einem Wischtuch am Konstrukt zu schaffen machte. Es war meine Frau, die selbiges einer Reinigung unterzog.
An einem besonders sonnigen Tag entdeckte ich einen roten Haarschopf, darunter zwei neugierige grüne Augen die über die zuoberst gelagerte Horizontale lugten. Seitdem schaue ich allen Rothaarigen, denen ich begegne, tief in die Augen, in der Hoffnung, sie wiederzuerkennen.


Die gesammelten 365 (Fensterblick-)Wahrnehmungen können interessierte Leser in der vollzähligen Publikation "Maximilians Fenstergeschichten" konsumieren, die nach Lösung folgender Fragestellung unter der Mailadresse  "wos-hot-er-denn-olls-gsehgn@eh-nix.at" angefordert werden kann (die Lösung bitte in der Anfragemail unter "Betreff" anführen).

 

Die Frage lautet:

Wenn man in beide Hände klatscht, entsteht ein Ton.
Wie ist der Ton beim Klatschen einer Hand?

                                                                                                                                                                                                                                                                                ©Maximilian Unger